Wüstenwege werden uns nicht erspart bleiben!

Der Evangelist Matthäus berichtet darüber, dass Jesus eines Tages vom "Geist Gottes" in die Wüste geführt wurde. Die Wüste ist ein unwohnlicher Kontinent, in dem es bis heute schwer zu leben möglich ist. Die große Hitze am Tag und die Kälte in der Nacht, die unendliche Sandwüste und die Sandstürme, die große Wasserknappheit und die wilden Tiere usw.  In der Wüste sein, einen halben Tag lang, mag für Touristen ein großartiges Erlebnis sein; für Wüstenbewohner ist die Wüste schwer zu ertragen. Trotzdem wird Jesus in die Wüste geführt, sogar vom "Geist Gottes".  Warum? Wenn Menschen auf der Suche sind nach dem Sinn ihres Lebens, brauchen sie Ruhe, ziehen sich in die Einsamkeit, in die Stille und Weltferne zurück – wohl geleitet durch die Erfahrung, dass niemand ihnen Antwort auf ihr Persönliches zu geben vermag. Deshalb müssen sie allein sein, bei sich Einkehr halten, um Antworten zu finden auf die Fragen, die ihr persönliches Leben betreffen.

Offensichtlich musste sich auch Jesus Klarheit verschaffen über seinen Weg, über seine Rolle und seine Aufgabe in der Welt, die nur ihm und niemand anderem von Gott zugedacht ist. Er musste über sich selbst im Klaren sein, über seinen ihm allein zukommenden Auftrag von dem, der dazu Kräfte und Fähigkeiten, ein persönliches Gewissen und eine einmalige Persönlichkeit zu geben vermag – alles Voraussetzungen, um das Leben vor sich selbst wie vor Gott verantwortlich zu gestalten. Heute, im Nachhinein, wissen über 2 Milliarden Christen in der Welt, dass Jesus ein großer Religionsgründer geworden ist. Jesus als Initiator einer religiösen Bewegung, die Länder und Kontinente erfasste und Menschen zu schöpferischem Kulturhandeln ermutigte.

Wo ein Mensch in sich selbst geht und bemüht ist, eine freie und auf Gott bezogene Persönlichkeit zu werden, um etwas Gutes zustande zu bringen, ist der Teufel immer auch dabei. Er verführt Jesus in der Wüste, wohl mit der Absicht, Jesus zu verunsichern: Warum tust Du Dir die Wüste an? Du könntest es viel besser haben, wenn Du aus Steinen Brot machen würdest statt zu hungern; wenn Du Dich von der Zinne des Tempels herabstürzen würdest und so die Engel zu spüren bekämest, die Dich auf Händen tragen; wenn Du die Worte des Teufels befolgen würdest und so an der Pracht und Herrlichkeit der Welt teilhaben würdest, zudem ausgestattet mit höchster Autorität. Jesus geht auf die Versuchungen Satans nicht ein. Er geht seinen Weg: Im Gebet und Gespräch mit seinem Vater im Himmel will er Klarheit für seinen Beruf, für seine Berufung und Sendung zum Heil der Welt.

Die Versuchungen Jesu in der Wüste sind beispielhaft für unsere Lebenswege. Auch wir müssen oft durch die Wüste gehen, wenn Eltern eines ihrer geliebten Kinder durch Krankheit und Tod verlieren; wenn der Mann stirbt und seine Frau zurücklässt, mit der er Jahrzehnte lang verheiratet war; wenn Lebenskrisen, Enttäuschungen beim Menschen schwere persönliche Verwundungen hinterlassen; wenn der Mensch in Depressionen und unsägliche Trauer verfällt; wenn Menschen in Hunger und Armut keine Chance haben, zur eigenen Entwicklung und Würde zu finden. Wir in unseren Breiten sprechen in ausweglosen Lebenssituationen zwar nicht von "Wüste"; aber der unmittelbar Betroffene bei Krankheit und Tod muss doch "Wüstenwege" gehen, die oft für lange Zeit Traurigkeit, Einsamkeit oder auch Verzweiflung heißen. Andere können dann nur von außen Hilfe leisten. Die eigentlich Betroffenen müssen die Wüstenwege allein durchstehen, durchhalten.

Wie kann Gott das Leid und Elend in der Welt zulassen? Gibt es überhaupt einen gnädigen Gott? Solche Klagen sind immer wieder zu hören. Für viele werden sie der Anfang zum Atheismus, zur Gottlosigkeit. Von anderen ist auch immer wieder zu hören: In schweren Krisen habe ich mehr zu Gott gefunden; ich habe angefangen zu beten; ich bin auf Gedanken gekommen, die ich vorher niemals hatte; früher Wesentliches ist zweitrangig geworden; ich komme mir reifer vor, klarer in der Frage nach dem Sinn des Lebens. Offensichtlich muss der Mensch Vieles im Leben durchhalten, um zu wissen, worauf es ankommt. In seiner Hinfälligkeit wächst die Erwartung auf etwas Ewiges, Endgültiges. Die Wüste ist hart, aber fruchtbar.

Auch die herkömmliche Kirche muss gegenwärtig Wüstenwege und Leer-Pfade gehen. Papst Benedikt XVI ist zurückgetreten; auf Papst Franziskus, seinem Nachfolger werden – bei dem "Problemstau" seit Jahren - übergroße Hoffnungen gesetzt. Die Bischöfe werden von vielen oft als unfähig eingeschätzt, das feierlich verkündete so wichtige Prinzip der "Subsidiarität" selbst zu befolgen und durchzusetzen. Die Bischöfe gelten wo es um die eigene Verantwortung geht, als ängstlich, lahm, zerstritten und ohnmächtig zu eigenen Entscheidungen. Auch hier stellt sich die Frage: Was hat Gott vor, wenn er solche Wüstenwege zulässt? Will er einen "Läuterungsprozess" der Selbstreinigung und Besinnung auf das, was Jesus wirklich gewollt und gesagt hat? Mehr Gott als den Menschen gehorchen?

Wenn nicht alles täuscht, läutet Gott mit allem, was in den letzten Jahrzehnten kaputt gegangen ist, eine neue Epoche ein: Das Ende der Obrigkeiten und Hierarchien, der Exzellenzen und Hochwürden, der "heiligen Väter". Er mutet der großen Mehrheit der Gläubigen die ernüchternde, bisher verdrängte Tatsache zu, dass alle in der Kirche nur Menschen sind, nichts als fehlbare Menschen. Mit solcher Einsicht wäre eine neue Epoche angesagt: Ihr sollt euch auf Erden nicht Rabbi, Vater, Lehrer... nennen lassen, "denn nur einer ist euer Meister, ihr alle aber seid Brüder und Schwestern“ (Mt 23. 8-11).

Wenn gegenwärtig viel von "Basisgemeinden", Klein- und Hauskirchen gesprochen wird, fängt die Uneinigkeit unter Christen schon an. Die einen sehen in ihnen ein "Zurück" zu den Quellen der ersten christlichen Jahrhunderte; eine Chance für die Zukunft des Glaubens; ein Zusammenrücken aller Gutwilligen. Andere sehen sich in ihrer Vorrangstellung als Geistliche und Geweihte bedroht. Sie fühlen sich in ihren geistlichen Ämtern, Privilegien und Weisungsansprüchen gegenüber dem Volk infrage gestellt. Welche Gruppierung wird zum Zuge kommen? Allen steht noch ein langer Wüstenweg bevor. Im Gebet: "Herr, was sollen wir tun?" kann wohl allein das Licht, die nötige Erleuchtung, die Gabe des hl. Geistes geschenkt werden; weniger im Befolgen dessen, was "von oben" verordnet wird; also von denen, die sich einbilden, mehr "oben" zu sein als andere. Das Gebet ist die wichtigste Voraussetzung eines Christen. Papst Franziskus betont dies bereits bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach seiner Wahl auf der Loggia des Petersdoms. Das Evangelium und die Liebe Gottes in die Welt zu bringen ist unser vornehmster Auftrag.

In seinem Hirtenbrief zur Fastenzeit 2014 schreibt er: „Das Evangelium ist das wahre Gegenmittel gegen die spirituelle Not: Der Christ ist aufgerufen, überallhin die befreiende Botschaft zu bringen, dass es die Vergebung des verübten Unrechts gibt, dass Gott größer als unsere Sünde ist und uns bedingungslos liebt, immer, und dass wir für die Gemeinschaft und für das ewige Leben bestimmt sind. Der Herr fordert uns auf, frohe Überbringer dieser Botschaft der Barmherzigkeit und der Hoffnung zu sein! Es ist schön, die Freude an der Verbreitung dieser guten Nachricht zu erfahren, den uns anvertrauten Schatz mit anderen zu teilen, um gebrochene Herzen zu trösten und vielen Brüdern und Schwestern, die von Finsternis umgeben sind, Hoffnung zu schenken. Es geht darum, Jesus zu folgen und es ihm gleichzutun, ihm, der den Armen und Sündern entgegengegangen ist wie der Hirte dem verlorenen Schaf, und dies voller Liebe getan hat. Mit ihm vereint können wir mutig neue Wege der Evangelisierung und der Förderung des Menschen eröffnen.“

Uns allen wünsche ich eine spirituell herausfordernde Fastenzeit.