Die bittere Zukunft der Kirche

hat "unten" schon begonnen!

 

Es wird heute vielfach vom Entstehen eines privaten Christentums gesprochen, welches Individuen dazu verhilft, die elementaren Erfahrungen der Kontingenz des Lebens sinnvoll zu verstehen und zu bestehen. Es hebt sich ab vom herkömmlich kirchlichen Christentum wie auch vom Kulturchristentum, welches die Öffentlichkeit beeinflusst.

Im "privaten Christentum" wird das Religiöse als "etwas höchst Privates, Innerliches" verstanden. In ihm entwickelt sich der "subjektive Sinn" von Individuen - eine religiöse Individualität, Gewissensreligiosität und Frömmigkeit jenseits der Institutionen und ihrer theoretischen Ansprüche. Das Individuum, darauf angelegt, eine "subjektive Plausibilitätsstruktur" aufzubauen und sich eine "subjektive Gewissheit" zu verschaffen, entzieht sich jedem generalisierenden Zugriff durch eine höhere Instanz.

Während sich die religiösen Individuen jedem "höheren Zugriff" verweigern, bleiben sie dennoch beeinflusst vom Kirchen- und Kulturchristentum – gegenwärtig sehr stark präsent in Form einer Medienreligion, repräsentiert von einer papalen TV-Ikone. Man könnte von vier Berührungspunkten zwischen Individuen und Kirchenchristentum sprechen:

  1. durch den Kontakt mit der Lehre der Kirche. Obwohl hier in Predigt und Katechese die meisten Anstrengungen gemacht worden sind, scheint das Ergebnis minimal. Sind deren Fragestellungen zu theoretisch, zu akademisch-abstrakt? Trifft die Lehre der Kirche zu wenig die Interessenlage der Menschen, wie es jüngst die Sinus-Studie wieder deutlich gemacht hat? Trotz der großen Aufmerksamkeit für Benedikt XVI. herrscht ein sehr distanziertes Verhältnis zur Kirche und ihren Inhalten.

 2. durch die Kenntnis der kirchlichen Moralvorstellungen über Ehe und Familie; Sexualität; gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften; Zölibat; "donum vitae" usw. Es geht bei allen diesen Streitfragen nicht darum festzustellen, wer Recht oder Unrecht hat. Tatsache ist, dass die Betroffenen ihre eigenen Entscheidungen und Optionen treffen. In vielen der genannten Bereiche haben sich die Menschen schon längst von der Kirche verabschiedet. Die steigende Zahl der Kirchenaustritte bestätigt es.

3. durch Riten, Symbole und Feiern der Liturgie. Diese werden bei verschiedensten Anlässen gerne in Anspruch genommen, vor allem, wenn sie "feierlich" und "ansprechend" sind. Der damalige Kardinal J. Ratzinger u.a. meint, dass durch die Liturgiereform des Konzils der Niedergang des Christentums eingeleitet wurde; dass durch die Rückkehr zu den "alten Riten" eine Erneuerung und Erstarkung des Glaubens wieder möglich würden.

Solche Ansichten und entsprechende kirchenpolitische Maßnahmen dürften sich als Irrweg erweisen. Liturgien bedürfen immer der Einbettung ins Leben; müssen immer das faktische Leben zur Sprache bringen, wenn sie nicht ins Irrationale, Exotische, Nostalgische und damit Wirkungslose abgleiten sollen.

  4. durch das Kennenlernen wirklich gelebter und nicht nur feierlich postulierter Werte. Was Christen, ob kirchlich gebunden oder auch nicht, leisten im Blick auf Schulen, Kranke, Kinder, Waisen, Entrechtete, Obdachlose, Gescheiterte, Hilfsbedürftige – sowohl im gesellschaftlichen wie auch familiären Umfeld – würde sich lohnen, in allen Lebensbereichen aufzuspüren.

Es hat viel mit der Bergpredigt Jesu (Mt 5,1- 12) und mit seiner Gerichtsrede (Mt 25,31-46) zu tun: Nackte bekleiden, Hungrige speisen, Kranke besuchen, Gefangene befreien, Verzweifelte trösten. Durch solches "Tun der Wahrheit" werden Menschen Mitgestalter am Schöpfungs- und Erlösungsgeschehen, so wie es Jesus verkündet und praktiziert hat.

Hier böten sich entscheidende lebensbegleitende Aufgaben für Theologie, Liturgie, kirchenpolitische Maßnahmen – nicht nur, weil sie Menschen in ihrem Engagement ernst nehmen, sondern auch, weil eine innere Übereinstimmung mit den Anliegen des Evangeliums deutlich erkennbar wäre. Im Suchen dieser inneren Übereinstimmung hätte die Kirche ihren größten Chancen auf Zukunft hin.

Wir erleben in unserem Land zurzeit den schleichenden Auszug der Gläubigen aus der Kirche. In der Mehrheit der Fälle ist das nicht als „Glaubensabfall“ zu bewerten. Vielmehr ist es die Resignation über das nichterkennen der tatsächlichen Bedürfnisse der Gläubigen. Ein Kopfschütteln über das krampfhafte Festhalten an Ämterstrukturen - statt das Suchen einer Neudefinition des Amtes- die suchenden Gläubigen keinerlei Halt und Zuwendung in ihren konkreten Problemen der Alltagsbewältigung gibt.

Bisher vermittelt die Kirche  jedoch den Eindruck, dass bei ihrer Selbstdarstellung, ihrer hierarchisch gestaffelten Ämter, das tatsächliche Engagement der Christen eine nur zweitrangige Aufmerksamkeit verdient, meistens bei Jubiläen und in Sonntagsreden.

Fragen wir uns: Ob in vielen Belangen der Kirche die Anliegen Jesu nicht ins Gegenteil verkehrt wurden? Jesus ging es einzig und alleine um das Werden und Wachsen des Reiches Gottes mitten in der Welt. Was ist im Laufe der Geschichte der Kirche aus diesem Anspruch geworden? Daraus ist der Selbsterhalt der Kirche und ihrer Ämter geworden. Je mehr dieses Hauptanliegen bestehen bleibt, desto sicherer gleicht es einem "begeisterten Selbstmord auf Raten".

Liebe Kolpingfamilie! Mit diesen anregenden Gedanken entlasse ich Euch in das letzte Quartal des Arbeitsjahres und in die Sommerpause und sehe trotzdem mit Zuversicht in die Zukunft. Es heißt im Psalm 104: „Sendest du deinen Geist aus, so werden sie alle erschaffen, und du erneuerst das Antlitz der Erde.“ Vertrauen wir auf das Wirken des Geistes in unserer Kirche!