Das Kreuz  - Eine Zumutung?

 

Viel wurde und wird über das Kreuz geschrieben und kontrovers diskutiert. Ist es nur ein Schmuckstück um den Hals? Ist es  das Merkmal einer Kultur? Ist es christliches Symbol? Gehört es in den Gerichtssaal, in die Schulklasse, obwohl sich Andersgläubige  und vor allem auch Wellness-Christen vor den Kopf gestoßen fühlen?

Wie die Einstellungen zum Kreuz auch immer sind - sie lassen den Verdacht aufkommen, als wiederhole sich in heutiger Zeit das, was Paulus vor 2000 Jahren schon geschrieben hat: "Viele wandeln als Feinde des Kreuzes" (Phil 3.18). Und "Christus der Gekreuzigte": "Für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit, für die Berufenen aber…Gottes Kraft und Gottes Weisheit" (1 Kor 1.23ff). – Wenn man sich den Text bei Matthäus (16,21-27) anschaut, scheint auch der erste der Apostel, Petrus, von "Gottes Kraft und Weisheit" weit entfernt. Er wehrt sich gegen das Kreuz – wie sich Menschen immer wieder wehren. Dennoch trifft die Auseinandersetzung mit Kreuz und Leid irgendwann jeden Menschen, unabhängig von Religion und Weltanschauung.

Jesus bejaht das Kreuz nicht nur, sondern er macht es zu einem Zeichen der Nachfolge. Wer mir nachfolgen will, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach… (Mt 16.24). Eine schwer zu verkraftende Zumutung!

Solche Art "Zumutung" können wir nur dann verstehen, wenn wir den Text des Evangeliums weiter lesen. Da spricht Jesus davon, dass es dem Menschen nichts nützt, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber sein Leben verliert; dass es besser ist, sein Leben um seinetwillen zu verlieren, um es auf neue Weise zu gewinnen...

Dahinter steckt ein bestimmtes Verständnis vom Menschen. Als gehöre es zu den Urtrieben des Menschen, die ganze Welt gewinnen zu wollen. Aber was heißt: "Ganze Welt"? Man könnte andere Ausdrücke dafür benutzen: Reichtum, Wohlstand, Karriere, Einfluss und Macht. Es geht um das Spaß-haben auf allen Ebenen und in allen Bereichen, um Gesundheit und Wellness. Bei solchen Bestrebungen, in denen es um das "Wohlsein" geht, zeigen sich allzu schnell deren Schattenseiten. Sie offenbaren sich in Reaktionen wie: Mobbing, Konkurrenzkampf, Gegnerschaft, Neid, Eifersucht, Dummheit, Lüge, Gewalt usw. bis zu deren "Endpunkt": Die lieblose Ellbogengesellschaft oder auch Lustgesellschaft. Tatsächlich wird das Zusammenleben der Menschen auf weiten Strecken von solchen Verhaltensweisen bestimmt.

Ohne dass wir es wollen oder beabsichtigen – unversehens geschieht viel Böses unter uns Menschen. Wenn es um den eigenen Vorteil geht, dann schießen Missverständnisse, unbegreifliche Vorurteile, Verdächtigungen und subtile Gehässigkeiten wie Pilze aus dem Boden. Wenn wir dann noch, darüber hinaus, Tsunamis, Stürme und vernichtende Naturkatastrophen erleben, dann wissen wir: wir Menschen sind auch noch, neben allem Persönlichen, Teil und Bestandteil einer unerlösten Welt. Und die Fragen wiederholen sich: warum gibt es die vielen abgründigen Nöte? Warum sind die Menschen der wohlhabenden Länder genauso, wenn auch auf andere Weise, betroffen wie die der armen und unterentwickelten? Warum gibt es keine befriedigende Erklärung für das Böse in der Welt – unabhängig davon, wie es sich zeigt: in Form von Dummheit, Lüge, Gewalt? Warum ist die Welt so, wie sie ist? Warum gibt uns auch der Glaube keine Antwort, die uns zufrieden stellt?

 

Das Evangelium macht uns nichts vor. Es geht davon aus, dass die Welt, so wie sie ist, eine gefallene und unerlöste Schöpfung ist. Wir Menschen sind Teil und Bestandteil in ihr. Deshalb ist jedes Menschenleben vom Kreuz bestimmt. Die Versuchung ist groß, in den Gütern dieser Welt das Heil zu suchen. Oder die Welt dadurch erlöster zu machen, dass über Kreuz und Leiden immer wieder neue Fragen gestellt und sich widersprechende Theorien entwickelt werden. Es führt dazu, das Elend auf verschiedenste Weise zu interpretieren. Aber verändert wird dabei nichts.

Deshalb das Gebot: nehme dein Kreuz auf dich! Im Leiden ist der Mensch aufgerufen, sich nicht zu sehr auf die Güter dieser Welt oder irgendwelche Theorien zu verlassen. "Bekehrung, "Veränderung" geschehen dadurch, dass jeder sein Kreuz auf sich nimmt. Es wäre sogar gefährlich, sollte es dem Menschen gelingen, die ganze Welt zu gewinnen…

Daraus spricht eine tiefe Menschenkenntnis und Welterfahrung. Wir Menschen neigen dazu, unsere Hoffnung und alle unsere Erwartungen auf die Güter dieser Welt zu richten. Für uns sind sie alles. Wir laufen ihnen nach – so, als könnte man nur in ihnen den Sinn des Lebens finden. Die Konsequenzen solch "materialistischen Verhaltens" sind bekannt. Es beginnt der oft brutale Kampf ums Dasein. Die Menschen in diesem Kampf ums "goldene Kalb" werden oberflächlich und gemein. Es wachsen und gedeihen ihre niederen Triebe: Habsucht, Genusssucht, Eifersucht, Herrschsucht, Durchsetzung mit Ellenbogen, "betriebsbedingter" Wirtschaftskapitalismus, Verarmung der einen, übermäßiger Reichtum der anderen…

Wenn es auch falsch ist, einem Menschen Kreuz und Leid zu wünschen, so eröffnen sich in jeder Passion dennoch Chancen, das Leben mit anderen Augen zu sehen als bisher. Wesentliches wird erkannt. Werte werden entdeckt, die nicht leicht vom Rost und von Motten zerfressen werden können. Höhere Motive und Kräfte werden frei gesetzt. Die Konzentration auf Wesentliches geschieht, auf ewig Gültiges, schließlich auf die Frage nach Gott.

Das Leiden galt schon immer als Nest des Atheismus, aber auch als Anfang eines neuen Lebens. Vom Letzteren geht das Evangelium aus. Im Leben Jesu wird uns deutlich vor Augen geführt, dass jeder Heilung eine Krankheit, dass dem Ostermorgen der Karfreitag vorausgeht. Es gibt kein Leben ohne Leiden. Im Leiden wird dem Menschen der Schlüssel zu neuen Einsichten geschenkt – zu einem wesentlich gelebten Leben. Darin schlummert die Sehnsucht nach Unsterblichkeit. Entsprechend lautet die Botschaft Jesu: Menschen sind nicht einfach für den Konsum bestimmt. Sie sollen das Leben in Fülle haben.

 Ich wünsche Euch / Ihnen einen guten Start mit vielen guten Gedanken in ein neues Arbeitsjahr!