Christus schreitet mächtig durch die Zeit!

 

In früheren Zeiten galt "die Sünde wider den Heiligen Geist" als die schwerste, die nicht verziehen werden kann (vgl. Mt 12,31ff; Mk 3,29). Dahinter stand die Überzeugung, dass Gott in der Geschichte der Welt und des Menschen wirksam ist. Er ist in den Zeichen der Zeit und in Lebenserfahrungen zu erkennen, in denen Menschen angestoßen werden zu fragen: Wie kann Gott das zulassen? Oder: Was will Gott, das wir tun sollen? Wer solche Situationen versäumt, sie missachtet oder "zu textet" mit fertigen Antworten und Lehren, darf sich nicht wundern, dass jede religiöse Kraft und Lebendigkeit (ver)schwindet. Der "Selbstmord der Kirche" ist dann nur noch eine Frage der Zeit.

Im Markus-Evangelium (Mk 4,26-34) spricht Jesus vom werdenden und wachsenden Reich Gottes mitten in der Welt. Es gleicht einem Samenkorn, das man in die Erde sät, in der es wächst, gedeiht und große Zweige treibt bis zum Tag der Ernte. Die Erde? Das sind die Herzen der Menschen. In ihnen soll das Reich Gottes wachsen, unter dem Einfluss des schöpferischen Geistes Gottes. Mit dem wachsenden Samen kann nichts anderes gemeint sein als das unauffällige, aber unaufhaltsame Wirken Gottes im Leben des Menschen, was zur Konsequenz hat, dass sich religiös sein wollende Menschen immer wieder Gewissensfragen stellen müssen. Drei Fragenkomplexe möchte ich hier anführen:

   1. Wie ist es mit dem Wirken Gottes im eignen Leben? Gibt es persönliche Erfahrungen, Ereignisse, Erlebnisse, die mir eine Ahnung gegeben haben oder geben, dass da einer in meinem Leben wirksam ist? Der mein Leben trägt und hält, der mir Hoffnung gibt?

   2. Wie ist es mit dem Wirken Gottes im Leben von anderen? In meinen Nächsten, bei Andersdenkenden und Andersgläubigen, bei den evangelischen und orthodoxen Mitchristen, Freikirchlern , den Mitmenschen mit mosaischem Bekenntnis, bei den Mitmenschen mit islamischen Bekenntnis oder Buddhisten? Da Gott kein Gott kirchlicher Ämter und Dogmatik ist, dürfen Lehren und Vorschriften niemals daran hindern, dass Menschen sich zusammenschließen zu einer Ökumene nicht nur freundlicher Worte, sondern mit dem Ziel des Heils der Menschen, zur Schaffung des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

   3. Wie ist es mit dem religions-übergreifenden Wirken Gottes, damit unter den Menschen Heilsgeschichte werden kann? Gibt es nicht schon viele Menschen guten Willens, eine universale Gemeinschaft gleicher Interessen und Anliegen, unabhängig von Kirchen und Konfessionen, Völkern und Rassen? Wer also das Wirken Gottes konfessionell zu regulieren und zu kanalisieren versucht; wer es bei Amtsträgern und geistlichen Herren anzusiedeln versucht, weniger bei normalen Laien und noch weniger bei Frauen, macht sich größer als er ist. Er degradiert die Botschaft Jesu zu einer menschlich gemachten, verkirchlichten Angelegenheit, die immer weniger Gehör findet.

Die im dogmatischen Glauben und rechtlichen Bestimmungen festgefahrenen Kirchen haben immer schon das Pech gehabt, dass sich Andersgläubige zu Wort meldeten und protestierten. Alle schneiden sich zudem ins eigene Fleisch, weil sie sogenannte „Jahre der Bibel“ kennen und ausrufen. Sie vergessen, dass die Bibel ein gefährliches Buch für menschlich Bestehendes und Gemachtes ist. Denn Jesus verkündete keine Kirche oder Konfession. Auch die klerikale Struktur von Kirche ist in der Bibel nicht vorgesehen. Ebenso nicht die Mehrzahl der kirchlichen Sakramente. Das soll nicht heißen, man müsse das alles heute wieder abschaffen. Aber es geht hier um die Prioritäten. Jesus verkündete den Frieden in der Welt und die neue Gerechtigkeit unter den Menschen, die immer auch unter dem Einfluss Gottes stehen.

Zunächst auf Israel konzentriert, hat als erster Paulus die Grenzen gesprengt. Er spricht von dem unbekannten Gott, der durch Jesus Christus eine Botschaft an alle Menschen gerichtet hat. Und Gott wir sie einst richten und beurteilen nicht nach ihren Worten und äußerem Gehabe, sondern nach ihren Werken (Mt 16.27; 25,31-46; Röm 2.6ff). Wenn man bedenkt, dass in der Welt; bei dem vielen Unkraut, welches es gibt; auch viel Weizen des Guten und zum Guten wächst, außerhalb und innerhalb konstituierter Kirchen, dann könnte das Wort von Kardinal Newman sprichwörtlich werden: Christus schreitet mächtig durch die Zeit! Er bleibt bei seiner ursprünglichen Option vom Reich Gottes. Bei aller selbst gemachten Rechtgläubigkeit müssen sich die Kirchen darauf einstellen, wenn sie die "Zeit Christi" nicht verpassen wollen.

Für die Kirchen wird es in Zukunft zentral darum gehen, nicht die Menschen in ihre fertigen Gehäuse hinein zu bekehren, sondern ihre eigenen Grenzen auszuweiten auf die Grenzen der Welt. Nicht die Menschen müssen von den Kirchen lernen; es sei denn, dass sie selbst von den Menschen zu lernen bereit sind. Selbst wenn die Menschen ohne Gott sind, so ist Gott nicht ohne die Menschen. Ein alter erfahrener Afrikamissionar hat es gegenüber einem jüngeren einmal so beschrieben: "Glaub doch nicht, Du könntest Gott zu den Heiden bringen. Bevor Du ihn bringst, war er schon lange vor Dir da!"

Mit diesen Gedanken wünsche ich unserer Kolpingfamilie einen neuen Aufbruch hin in eine neue Zeit. Wir haben unseren Präsides Ludwig Zack und Hermann Glück viel zu verdanken, denn sie waren zur rechten Zeit am rechten Ort in ihrem Wirken. Nun sind wir gefragt ihr Wirken mit Hilfe des Hl. Geistes fortzuführen und uns nicht in einem Schneckenhaus zu verkriechen und uns gegenseitig zu bemitleiden.

Sende aus deinen Geist, und das Antlitz der Erde wird neu! Trauen wir uns?