Gottes Anwesenheit? -  Mitten im Leben!

 

Schon im Alten Testament ist an verschiedenen Stellen vom Bund Gottes mit der gesamten Menschheit die Rede: Nach der Sintflut mit Noach (Gen 9.1-17); später mit Abraham (Gen 15.1-21) u.a. - Im Neuen Testament gibt es eine Anzahl biblischer Aussagen, die von der Anwesenheit Gottes im Leben sprechen: "Wer ein Kind in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich auf" (Mt 18.5). "Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen" (Mt 18.20). Auch die Osterberichte zeigen Jesus den Jüngern immer wieder als Lebenden - auf eine andere Weise als früher. Sein Versprechen gilt: "Ich bin bei euch alle Tage, bis ans Ende der Welt" (Mt 28.20).

Als solcher bekundet Christus seine Anwesenheit unter den Menschen mitten in der Welt, die ja seine Welt ist und bleibt. Vor allem bei der Bewältigung der Aufgaben in der Welt. Jesu Botschaft ist wesentlich Weltzentriert. Es geht um erlösendes Geschehen mitten in einer unerlösten Welt. Es geht um den Weizen mitten im Unkraut!

Umso erstaunlicher ist es, dass sich im Laufe der Jahrhunderte ein Kirchenbewusstsein entwickelt hat, welches (in Anpassung an die Welt!) ganz andere Akzente setzt: Monarchisch, männlich- hierarchisch, klerikal, sakramental, liturgisch –… gerade so, als würde die Existenz und die Zukunft des Glaubens primär von solchen "Kirchlichkeiten" abhängen. Diese sind zwar nicht überflüssig. Sie werden es aber, wenn sie um ihrer selbst und um gedankenloser Traditionspflege willen kultiviert werden.

"Kirchliche Maßnahmen" – entweder sie mobilisieren und motivieren menschliche Potentiale innerhalb und außerhalb der Kirche zum Heil der Welt oder sie geraten in die Zone des Vergessens und der Überflüssigkeit. Wenn schon 1943 Alfred Delp von dem "toten Punkt" gesprochen hat, an dem wir kirchlich angekommen sind und neuerdings der Bischof von Trier, Stephan Ackermann, dann müssten alle Christen schnell aus ihrem Schlaf erwachen und In Richtung "JOHANNES XXIII" schauen. Er war der Papst, dem die Mobilisierung der Kräfte des Guten weltweit am meisten gelungen ist. Seit dem viele kirchliche Vertreter auf ihn und die Stimme des Konzils nicht mehr hören, weil sie alles  besser wissen, sind auf dem Holzweg. "Das Christliche" scheint durch sie am meisten gefährdet!

Die im dogmatischen Glauben und rechtlichen Bestimmungen festgefahrenen Kirchen und deren Vertreter haben immer schon das "Pech" gehabt, das sich Andersgläubige zu Wort meldeten und protestierten. Alle schneiden sich zudem ins eigene Fleisch, weil sie "Jahre der Bibel"; „Paulusjahre“ oder „Jahre der Apostelgeschichte“ kennen und ausrufen. Denn die Bibel ist ein gefährliches Buch für menschlich bestehendes und gemachtes. Denn Jesus verkündete keine Kirche oder Konfession. Auch die klerikale Struktur von Kirche ist in der Bibel nicht vorgesehen oder gar vorgeschrieben. Ebenso nicht die Mehrzahl der kirchlichen Sakramente. Das soll aber nicht heißen, man müsse das alles heute wieder abschaffen. Aber es geht um die Prioritäten. Jesus verkündete den Frieden in der Welt und die "neue Gerechtigkeit" unter den Menschen, die immer auch unter dem Einfluss Gottes stehen. Zunächst auf Israel konzentriert, hat als erster Paulus die Grenzen gesprengt. Er spricht von dem "unbekannten Gott", der durch Jesus Christus eine Botschaft an alle Menschen gerichtet hat. Und Gott wird sie einst richten und beurteilen nicht nach ihren Worten und äußerem Gehabe, sondern nach ihren Werken (Mt 16.27; 25,31-46; Röm 2.6ff). –

Wenn man bedenkt, dass in der Welt – bei dem vielen "Unkraut", welches es gibt – auch viel Weizen des Guten und zum Guten wächst, außerhalb und innerhalb konstituierter Kirchen, dann könnte das Wort von Kardinal Newman sprichwörtlich werden: Christus schreitet mächtig durch die Zeit!

Er bleibt bei seiner ursprünglichen Option vom "Reich Gottes". Bei aller selbst gemachten "Rechtgläubigkeit" müssen sich die Kirchen darauf einstellen, wenn sie die "Zeit Christi" nicht verpassen wollen.

Für die Kirche  wird es in Zukunft zentral darum gehen, nicht die Menschen in ihre fertigen Gehäuse hinein zu bekehren, sondern ihre eigenen Grenzen auszuweiten auf die Grenzen der Welt. Nicht die Menschen müssen von den Kirchen lernen – es sei denn, dass sie selbst von den Menschen zu lernen bereit sind. Selbst wenn die Menschen "ohne Gott" sind, so ist Gott nicht "ohne die Menschen". Ein alter erfahrener Missionar hat es gegenüber einem jüngeren Mitbruder einmal so beschrieben: "Glaub doch nicht, Du könntest Gott zu den Heiden bringen. Bevor Du ihn bringst, war er schon lange vor Dir da!"

Mit diesen durchaus kritischen aber auch anregenden Gedanken möchte ich unserer Kolpingfamilie Meidling ein gutes und segensreiches neues Arbeitsjahr 2009/10  wünschen.